Nur ein Gemüsegarten?

Vor ein paar Tagen, als es noch sommerlich war, lag ich gemütlich in der Hängematte, ließ die Sonne auf meinen Bauch scheinen und genoss meine Umgebung: den Schatten-spendenden Nussbaum, den reichen Gemüsegarten, den Blick auf Wiesen und Wälder …

Etwas später, ein Blick in die Nachrichten: Sudan – schon lange anhaltende Dürren, dazwischen schlimme Überschwemmungen, dazu kommt der Krieg und damit eine der schlimmsten Hungerkatastrophen der Geschichte. 10 Millionen Menschen, mehr als in Österreich leben, auf der Flucht und nicht einmal in den UNO Flüchtlingscamps genug zu essen.
Ich lese gar nicht erst weiter über Gaza oder andere Krisengebiete, wo Klimakatastrophe und menschliche Kriegsgeilheit die Menschen zur Flucht zwingen – und lieber auch nicht über brennende Asylheime und neue Abschiebepläne.

Stattdessen zwingt sich mir ein Gedanke auf, der mich immer wieder heimsucht, wenn meine „schöne heile Welt“ im schmerzlichen Kontrast mit dem Leid so vieler Menschen steht:
Einen guten Teil meines Lebens habe ich mich gegen Ungerechtigkeit engagiert, benachteiligten Menschen geholfen etc. Und nun? Habe ich mich in eine vermeintlich sichere Oase zurückgezogen? Verschließe ich hier die Augen vor dem Leid der Welt?

Ungerechtigkeit hat mich schon immer interessiert. Der Drang, sie zu verstehen und etwas dagegen zu tun, ließ mich viel reisen:
Ich habe ein Jahr in Indien gelebt und bin mehrere Monate in Süd/Osteuropa und in afrikanischen Ländern gereist und habe dort in sozialen und landwirtschaftlichen Projekten mitgearbeitet. Dabei habe ich verstanden: der Großteil des Wohlstands meines Heimatlandes beruht auf der Ausbeutung der Arbeiter*innen und Bäuer*innen dieser Länder, die zusammenfassend oft als „globaler Süden“ bezeichnet werden.

(Foto: Tobias auf einer Landwirtschaft in der Casamance.)

Meine Geschichte ließ mich verschiedenste Wege gehen und der letzte führte mich zurück in mein Heimatdorf, das mir in mancher Hinsicht oft wie ein kleines Paradies erscheint. Gerade deswegen muss ich mich immer wieder erinnern, warum ich eigentlich hier bin – denn ich wollte nie vom Leid anderer davon laufen, sondern vielmehr einen Weg finden es zu lindern.

Doch wie kann man das bewerkstelligen? Was braucht es für einen Wandel?
Meiner Meinung nach genügt es nicht, sich auf Politik, auf privates Konsumverhalten, auf Unternehmergeist zu verlassen. Ich glaube Veränderung braucht von allem etwas:

  1. 1) Es braucht Denker*innen, die neue Ideen und Konzepte wie die „Gemeinwohlökonomie“ entwickeln.
  2. 2) Es braucht Aktivist*innen, die es verstehen genug Aufmerksamkeit auf ein Thema zu lenken.
  3. 3) Es braucht politische Menschen, die eine Bewegung anstoßen.
    4) Es braucht Praktiker*innen, die schließlich diese Idee und Konzepte umsetzen, damit nicht nur geredet wird und auch was passiert.
    Und schließlich eine gute Vernetzung all dieser.

Bis vor einigen Jahren hätte ich mich mehr den Denkern, Aktivisten und Politischen zugerechnet. Es frustrierte mich aber zunehmend, dass so viel geredet wurde und gefühlt nichts passierte. Ich beschloss selbst zum Praktiker zu werden. Landwirtschaft lag mir am nächsten: ich bin mit ihr aufgewachsen, ich fühle eine tiefe Verbindung zum Boden, zu Tieren und Pflanzen. Und es scheint mir eine der wichtigsten gesellschaftlichen Aufgaben zu sein: eine Region, die ihre eigenen landwirtschaftlichen Produkte hervorbringt, bedient sich weniger imperialistischer Ausbeutung (durch Billigprodukte aus dem Supermarkt). Zudem ist der ökologische Landbau der Schlüssel zu einer klimagerechten Welt, wodurch sich das Leid im globalen Süden (der am meisten unter der Klimakrise leidet) eindämmen lässt.

Wenn man die ganze Woche damit verbringt Gemüse zu pflegen und zu ernten, vergisst man gern die gesellschaftliche Dimension des eigenen Tuns. Für mich ist diese aber wichtig. Denn Gemüseanbau ist harte, mittel-schlecht bezahlte Arbeit und wäre es nicht für einen größeren Sinn, so würde ich es wohl nur für mich tun.
Privilegierte Menschen wie ich haben den Luxus: wir können uns dafür entscheiden, ob wir harte Arbeit verrichten wollen oder es für wenig Geld andere machen lassen wollen. Vom Straßenbau, über die Pflege bis zur Erntehilfe – die essenziellsten Aufgaben werden in der Regel unter schweren Bedingungen von Menschen ausgeführt, die kaum Alternative haben. Umso mehr wir es schaffen, diese Aufgaben fair zu gestalten und nicht nur den Alternativlosen aufzuzwingen, desto besser ist die Welt für den gemeinen Menschen.

Ich glaube und hoffe also: es ist nicht nur ein Gemüsegarten.


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