Moderne Sklaverei – und Landwirtschaft?

Vor kurzem haben wir uns eine Doku über Moderne Sklaverei angeschaut. Ein Fakt, der heraussticht: noch nie gab es so viele Sklav*innen wie heute. Schätzungen belaufen sich auf ca 35 – 50 Millionen. Man könnte das natürlich relativieren und sagen: im Verhältnis zur Weltbevölkerung ist Sklaverei dann doch eher rückläufig. Aber kann man das Leid von Millionen von Menschen so einfach relativieren? Für jedes einzelne Schicksal ist es unermesslich grausam und ungerecht, egal wie viele Menschen es sonst noch gibt auf der Welt.

Was auch überrascht: Es gibt kaum Unterschiede zur „klassischen“ Sklaverei, wie man sie aus der Kolonialzeit kennt. Die Merkmale auch für diese Zählungen sind die gleichen, nämlich Zwang zu übermäßiger körperlicher Arbeit unter Androhung von Gewalt, keine Entlohnung (Kost und Logie ausgenommen) etc. Auch moderne Sklaven werden oft aus ihrer Umgebung gerissen und in andere Länder verkauft. Der Hauptunterschiede zur kolonialen Sklaverei sind: heute ist Sklaverei überall auf der Welt formal verboten und noch nie waren Sklaven so billig wie heute. Ca 10 Dollar pro Sklave. Früher waren es mehrere Tausend Dollar, man musste also relativ wohlhabend sein, um sich Sklaven leisten zu können. Ein Sklave war eine Investition, die sich quasi abzahlen musste. Heute ist das nicht mehr so. Der Preisverfall für Sklaven führt dazu, dass man als Sklavenbesitzer weniger gut auf sie aufpassen muss, sie sind ja leicht ersetzbar. Der potenzielle Markt dafür ist riesig, dazu komme ich gleich.

Zuerst aber: Warum schreibt ein Gemüsegärtner in seinem Blog darüber?
Weil Sklaverei auch in der Landwirtschaft vorkommt? Ja, auch das – meist ist es die Form der „Schuldknechtschaft“, wie man Sklaven auch in Europa zur Lebensmittelproduktion eingesetzt werden. Doch was ich sagen will geht darüber hinaus.
Expert*innen zum Thema Sklaverei betonen: es wird auf der Welt weiter Sklaven geben, solange unser Wirtschaftsystem in manchen Weltregionen Armut erzeugt und die wohlhabenderen Staaten sich nicht darum scheren, woher ihr Wohlstand eigentlich kommt.
Der Markt für Sklaven ist demzufolge so groß wie nie zuvor (was auch den Preisverfall erklärt), denn im Wesentlichen ist das Hauptkriterium für einen potenziellen Sklaven, dass er weniger als einen Dollar pro Tag zur Verfügung hat. Und davon gibt es allein in Indien mehrere Millionen Menschen. Armut macht es einfach betroffene Personen in Schuldknechtschaft zu zwingen, Kinder aus sozialen Systeme zu reißen und irgendwo, wo sie die Sprache nicht kennen, auszubeuten. Kinder sind die leichtesten Opfer, deswegen sind sie als Sklaven überrepräsentiert.

Was also tun, fragt man gern die, die darüber Expertise beanspruchen?
Häufige Antworten: die wohlhabenden Menschen, Firmen und Staaten müssen Verantwortung für ihre Produkte, die sie erwerben, übernehmen. „Lieferkettengesetz“ wäre ein Stichwort dazu. Ein gutes Lieferkettengesetz kann einen guten Teil der Sklaverei, die durch Europa verursacht wird verhindern. Für manche ist aber auch das nur Symptom-Bekämpfung. Kaum jemand traut es sich zu sagen, abgesehen von einem ungewöhnlichen Papst, der vor ein paar Jahren skandalös ausrief:
„Diese Wirtschaft tötet.“
Eine Wirtschaft, die um zu wachsen anderswo Armut erzeugt und erhält, anstatt sie zu bekämpfen, wird weiter töten und versklaven. Wenn wir das nicht hinterfragen, müssen wir uns wohl damit abfinden, dass wir nicht viel besser sind als die bösen Kolonialherren anno dazumal.

Etwa ein Drittel der Weltbevölkerung arbeitet noch immer in der Landwirtschaft. Diese Branche ist nicht nur von viel Ausbeutung und Sklaverei geplagt, sondern geht auch mutige Versuche für faireres Wirtschaften (SoLaWis, Kooperativen, Fairer-Handel Initiativen mit mehr Transparenz etc.) Landwirtschaft kann und muss eine Vorreiterrolle einnehmen – dass muss die Öffentlichkeit aber erst zulassen. Wenn Bäuer*innen weltweit bessere Bedingungen haben, ihre Märkte vor den negativen Auswirkungen der Globalisierung geschützt werden, sind weniger Menschen von Armut betroffen, und somit auch weniger von der Gefahr versklavt zu werden. Dafür müssen wir uns von alten Gedankenmustern verabschieden und offen sein für neue Konzepte.

Tobias Schlagitweit


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