Essen befreien!

Gemüse anbauen kann etwas sehr Erfüllendes und Romantisches haben. Wer gelegentlich in der Erde wühlt und sich um Pflanzen kümmert, weiß wovon ich spreche.

Für mich ist die Motivation Gemüse anzubauen allerdings noch vielfältiger. Da ist beispielsweise auch eine politische Dimension, die mich antreibt. Der Wunsch, durch meine Arbeit, nicht nur Natur und Mensch hier bei uns Gutes zu tun, sondern auch andere vom Leid zu befreien, die weit weg wirken. Um diesen Zusammenhang zu verstehen, muss man einen Blick auf die Schattenseiten der herkömmlichen Gemüseproduktion werfen.

Manchmal können Lebensmittel einen bitteren Beigeschmack haben. Nicht nur aufgrund der Inhaltsstoffe, sondern auch aufgrund der Produktionsgeschichte. Diese ist oft geprägt von Ausbeutung von Natur und Menschen. In meinem Studium, auf Reisen und sogar in meinen Erfahrungen mit österreichischer Landwirtschaft durfte ich einige dieser Geschichten näher kennenlernen. Doch bevor ich dazu komme, eine gute Nachricht vorweg: Es gibt eine wachsende Bewegung gegen die Ausbeutung und du kannst Teil davon sein!

Viele sind es bereits: Jene, die sich selbst versorgen; jene, die sich politisch gegen Ausbeutung organisieren; jene, die möglichst ethisch einkaufen und bei problematischen Produkten reduzieren. Die Ackerhummel möchte diese Bewegung unterstützen, indem sie Gemüse und Blumen regional, saisonal und ohne Ausbeutung produziert. Das ist nicht selbstverständlich, denn schaut man ins Sortiment der Supermärkte, muss man oft feststellen:

a) selbst das Bio-Gemüse kommt von weit weg, doch nicht nur das: in einer der trockensten Regionen Spaniens wird in Gewächshauslandschaften, die so groß sind, das man sie vom Weltall sieht, unser Lieblingsgemüse angebaut. Die Arbeitsbedingungen werden oft als moderne Sklaverei bezeichnet. Für Hungerlöhne arbeiten dort vor allem Menschen aus Nord- und Westafrika (häufig Klimaflüchtlinge) sowie Osteuropa. Die Umweltverschmutzung durch Plastik und andere Problemstoffe ist enorm. Wasser gibt es kaum noch. Wer sich für diese schockierenden Umstände interessiert, braucht nur online nach „Almeria“ (Gebiet in Spanien) und „Plastik“ oder „Sklaverei“ suchen und wird reichlich fündig.

b) das (Bio-)Gemüse kommt von Großbauern aus dem Marchfeld oder Eferdinger Becken. Auch dort gibt es mehr Ausbeutung, wie wir gewöhnlich annehmen. Beispiel Karotten: diese müssen im biologischen Landbau teilweise händisch gepflegt werden. Bei riesigen Monokultur-Äckern, wie in diesen Gemüse-Industrie-Gebieten üblich, ist es einem Landwirt unmöglich, diese Arbeit selbst zu verrichten. Fair entlohnte Angestellte würden die Produktionskosten allerdings so erhöhen, dass der Landwirt das Gemüse auf dem Markt nicht mehr rentabel loswerden könnte. Gleichzeitig gibt es in Osteuropa viele Menschen, die in ihren Ländern keine Arbeit finden können und gezwungen sind, sich im Ausland nach „Drecksarbeit“ umzusehen. Diese finden Sie im Marchfeld. Zwar sind Kollektivverträge in der Landwirtschaft ohnehin bescheiden, doch weiß ich aus Gesprächen mit Betroffenen, dass viele dieser „Hilfsarbeiter“ illegal für viel schlechtere Arbeitsbedingungen arbeiten: 12 Stunden am Tag Gemüse-jäten, teilweise für unter 5€ pro Stunde. Darüber hinaus haben diese Gemüsebau-Flächen mit massivem Humus-Schwund zu kämpfen.

c) auch mit Blumen verhält es sich nicht besser: diese kommen oft von noch weiter weg, wie Tulpen aus Kenia. Ich durfte vor einigen Jahren selbst eine Tulpenfarm dort besuchen, die auch für österreichische Supermärkte produzierte. Obgleich es eine „Fairtrade“-Farm war, verdienten die Menschen nur den staatlich vorgeschriebenen Minimum-Lohn, der damals bei etwa 2$ pro Stunde lag, wenn ich mich richtig erinnere. „Fairtrade“ bedeutete für die Arbeiter*innen vor allem, dass sie zusätzlich Provisionen für Bildungsinitiativen oder dergleichen bekamen. Dafür waren sie auch sehr dankbar.

Offensichtlich ist unser (Lebensmitttel-)Handel noch immer schwer von der Kolonisierung des globalen Südens abhängig. Da es offiziell aber keine Kolonisierung mehr gibt, spricht man heute von „Neokolonialismus“. Das bedeutet soviel wie, der Kolonialismus lebt weiter, aber mit anderer Maske. Noch immer beruht der Wohlstand Europas auf der Ausbeutung des Südens. Hinzugekommen sind andere arme Länder des ehemaligen Ostblocks. Dank dieser Länder müssen die Österreicher*innen prozentuell gesehen so wenig wie nie zuvor für Lebensmittel ausgeben. Den wahren Preis bezahlen andere.

Der kenianische Autor Ngugi Wa’Thiongo, den ich sehr schätze, ist einer der vehementesten Kritiker des Neokolonialismus. Immer wieder weist er darauf hin, dass Afrikanische Länder erst dann wirklich unabhängig sein können, wenn sie auch wirtschaftlich und kulturell unabhängig sind. Wer glaubt, die Entkolonisierung sei eine Sache Afrikas, der liegt falsch: Vor allem Europa müsste sich Entkolonisieren. Solange unser Wohlstand auf die Ausbeutung ärmerer Länder beruht, wird es keine echte Unabhängigkeit und keinen Frieden geben. Deswegen sage ich: Befreien wir unser Essen von Ausbeutung! Essen befreien bedeutet auch Menschen befreien.

Wie können wir uns und unsere Lebensmittel also entkolonisieren bzw. von Ausbeutung befreien?
Wie immer gibt es Menschen, die sagen: es muss eine politische / wirtschaftliche Lösung geben. Und Menschen, die sagen: jede*r von uns, muss ein Bewusstsein entwickeln und entsprechend handeln. Für mich ist es kein Entweder-Oder. Natürlich können wir als „Einzelne“ wenig bewirken. Doch wenn es viele „Einzelne“ gibt, welche sich gleichzeitig organisieren und gemeinsam der Ungerechtigkeit den Kampf ansagen, sind sie sehr wirksam. So hat jede*r Mensch seinen Platz im Engagement für mehr Menschlichkeit: wer sein eigenes Gemüse anbaut, wer sich für Klimagerechtigkeit und ein faires Wirtschaftssystem einsetzt, wer in den Kaufentscheidungen so ethisch wie möglich handelt und natürlich wer sich sein Gemüse, seine Blumen und Jungpflanzen bei der Ackerhummel holt, anstatt aus fernen Ländern. 😉

Ein Beispiel für ein faireres Wirtschaftssystem in der Lebensmittelbranche liefern Solidarische Landwirtschaften (SoLawis). Sie erreichen teilweise, was fast unmöglich erscheint: Bei unserem vorherigen Arbeitgeber GeLa Ochsenherz wird Bio-Gemüse produziert. Unter den Mitarbeiter*innen finden sich auch ehemalige „Hilfsarbeiter“, die in der SoLawi Löhne weit über dem Kollektivvertrag und fixe ganzjährige Anstellungen erhalten. Und dennoch ist das Gemüse für alle leistbar, denn Wenigverdiener/Arbeitslose können weniger bezahlen bzw. als Gegenleistung mitarbeiten, weil es genug Besserverdienende gibt, die freiwillig etwas mehr bezahlen und so einen solidarischen Austausch ermöglichen. Mehr zur SoLawi aber in einem anderen Kommentar.

Die beste Nachricht zuletzt:
Sich „für eine bessere Welt“ zu engagieren und sein Verhalten zu ändern, klingt für die meisten recht anstrengend. Umso schöner, dass es erfahrungsgemäß beim Essen oft umgekehrt ist:

Wer selbst Lebensmittel produziert bzw. sie regional einkauft hat oft einen ganz anderen Bezug zu ihnen. Plötzlich ist es kein „Lebens-Mittel“ mehr, sondern eine Kostbarkeit, die einem Gesundheit, Gaumenfreude und Dankbarkeit schenkt. Ganz zu schweigen vom schönen Gefühl, etwas Sinnvolles zu machen.


Tobias Schlagitweit


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter: