Ein Naturkunstwerk

Was ihr hier auf dem Bild seht, ist ein „Erdbeermais„. Eigentlich ein Popcornmais, der wie eine Erdbeere aussieht, was ihm den Sortennamen eintrug. Anders als andere Popcornmais (die ihr im Hintergrund seht) wächst er nicht auf einem langen Kolben, derer es normalerweise zwei pro Maispflanze gibt. Der Erdbeermais präferiert es aber mehrere kleine Erdbeeren zu machen. Man könnte sagen: unpraktisch, mehr Arbeit, wenig Ertrag.
Ja, stimmt. Aber hübsch ist er
und ich finde es nett, dass Menschen sich einst jahrelange Züchtungsarbeit angetan haben um aus der Genetik dieser wunderbaren Pflanze der Gräser-Familie („Poaceae“) so ein kleines Kunstwerk zu erzeugen. Das erzählt wohl von einer Zeit als Produktivität nicht das höchste aller Maße war. Stattdessen musste wohl die Freude an der Ästhetik überwogen haben. Ich wünschte, das hätte auch in unseren Leben noch öfter Platz.

Mais ist übrigens generell ein Künstler. Wer das nicht glaubt, der kann sich mal unsere bunten Stärkemaise genauer ansehen – nicht nur leuchtet jeder einzelne in einer anderen wunderbaren Farbe, oft hat noch jedes einzelne Korn eigene Farben und Musterungen.

Ein Grund warum jeder Kolben anders aussieht ist die Bestäubungsart in einer Gruppe von Maispflanzen mit vielfältiger Genetik. Mais ist Windbestäuber, oben an der Pflanze sind die männlichen Geschlechtsteile, die ihre Samen dem Wind auf den Weg geben. In der Mitte der Pflanze, wo die Kolben in den Blattachseln entstehen, wachsen scheinbar „Haare“ aus den jungen Kolben, welche die weiblichen Geschlechtsteile sind (die „Griffel“ der „Narbe“), wo die Samen durch den Wind landen. Damit man schöne volle Kolben hat, braucht man also auch genug Pflanzen in der Nähe, damit die Bestäubung der meisten weiblichen Härchen erfolgreich ist. Jedes Maiskorn wurde einzeln vom Wind bestäubt und womöglich von vielen verschiedenen männlichen Rispen. So ergeben sich die verschiedensten Farben und Musterungen.

Wir bauen den Stärkemais eigentlich nur zur Selbstversorgung an, denn das/der selbstgemachte Polenta/Brei daraus ist zwar etwas aufwändiger, aber super lecker. Letzte Woche wurde ich beim Erntedankfest mehrfach auf den bunten Mais angesprochen – die meisten haben an ihm Interesse, weil er auch als Herbstdekoration dienen kann. Zu Recht!

Da ist es kaum mehr zu glauben, dass diese Pflanze vor der langen Züchtungsgeschichte nicht mehr als eine Handvoll Körner besaß. „Teosinte“ ist der Name des Urgrases, dessen Kolben einst kleiner als ein kleiner Finger war. Zusammen mit menschlichem Wirken konnte er riesige Kolben hervorbringen, die nun eines der wichtigsten Nahrungsmittel der Menschen (und Masttiere) geworden ist. Ja, leider gab sich der Mensch mit dem Geschenk dieses nährenden Kunstwerks nicht zufrieden. Heutzutage ist so gut wie jedes Maisfeld eine traurige Monokultur gelben Hybridmaises, das nur mit Glyphosat und dergleichen optimalen Ertrag bringt. Aus dem Geschenk der Natur wurde die Ausbeutung der gleichen. Die Böden werden ausgelaugt, verdichtet, mit CO²-intensiven Haber-Bosch-Stickstoff vollgepumpt …

Vielleicht erinnern uns die Züchtungs-Kunstwerke daran, dass Pflanzen uns Geschenk sein können und es uns vor allem selbst schadet, der Schenkenden, der Mutter Erde, alles was sie hat zu entreißen.

Tobias


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