Jede Woche werden es mehr: die Einmachgläser die bei uns im Haus und Keller verstreut rumstehen. Fast jeden Tag kommt irgendwas dazu.
Zuletzt: Ajvar (Paprika/Auberginen Paste), Kim Chi (fermentierter Chinakohl, Rettich etc), Sauerkraut, Rohnen-Kwass (russisches Fermentations-Getränk auf Rohnen), eingelegte Dirndeln (schmecken wie Oliven), fermentierte Karotten, Peterwurzeln, Chilis, Wassermelonen? Ja, auch Wassermelone! … Paprikapulver, Kletzenbirnen, in Öl eingelegte Paradeiser … Und natürlich gehören auch die vielen Walnüsse verarbeitet … Walnuss-Mus, lecker!

Herbst ist die Zeit der Fülle und wie jedes Jahr ist es eine Balance-Akt nicht in einen neurotischen Zustand zu kommen, in dem man nur noch aus Stress und „Pflichtbewusstsein“ Lebensmittel haltbar macht. Wer auf einem Bauernhof lebt, kennt das wohl – denn es ist eigentlich völlig unmöglich all den Überfluss dieser Jahreszeit festzuhalten. Und gerade das finde ich auch schön: es gibt diesen Überfluss und die einzige angemessene Antwort ist Dankbarkeit und achtsames Genießen.

Dass ich dennoch einen großen Teil meiner Zeit gerade in die Verarbeitung von Lebensmittel stecke, liegt mehr daran, dass ich die Freuden des Fermentierens gerade neu entdecke: Man steckt ein paar übrig gebliebene Karotten, Chilis oder anderes Gemüse in ein Einmachglas, gibt 2-3%ige Salzlake darauf und schaut ein paar Tage bei Zimmertemperatur zu, wie es zu blubbern beginnt, Farben sich verändern und still und heimlich auch die Inhaltsstoffe und Aromen. Nach ein paar weiteren Wochen im Keller ist der Fermentationsprozess quasi abgeschlossen und man hat ein völlig neues Lebensmittel vor sich: Aromen, die man noch nie zuvor gekostet hat … ein leichtes Prickeln auf der Zunge … und Superfood sondergleichen.

Die Milchsäurebakterien, derer wir uns in vielen Fermentationsmethoden bedienen, sind nicht nur die beste Medizin für unser Verdauungssystem, sondern sind sogar im Stande unser Immunsystem zu stärken und unsere Laune erheblich zu bessern (die Forschung ist mittlerweile soweit, dass Laktobacillus-Stämme gegen Depressionen eingesetzt werden). Es ist also ein bisschen wie Zauberei. Ich frage mich auch immer wieder: wie kann es sein, dass fast jedes rohe Lebensmittel, von Gemüse, Obst, Milch, Fisch und Fleisch jene Bakteriengemeinschaften (oder Hefen/Pilze) beheimatet, die diese Lebensmittel unter bestimmten Umständen (welche vom Menschen mit sehr kleinen Aufwand erzeugt werden können) so haltbar und gesund werden lassen? Vielleicht brauche ich aber auch auch keine Antwort darauf und begnüge mich damit dieses Wunder zu genießen.

Eventuell bekommt ja auch der/die eine oder andere von euch Lust, diese jahrtausende-alte Kulturtechnik auszuprobieren? Nicht nur könnt ihr Freude am „Zaubern“ haben, Überschüsse haltbar machen, neue Geschmäcker entdecken … ich finde Fermentieren hat auch eine politische Dimension: es wirkt der Lebensmittel-Verschwendung entgegen und stärkt unsere Lebensmittelsouveränität in einer Jahreszeit, in der wir ansonsten oft geneigt sind zu importierten Lebensmitteln zu greifen, weil auf heimischen Feldern wenig wächst. Fermentieren ist ein Paradebeisiel für nachhaltigen Genuss! Ich hoffe ich hab eure Lust geweckt 😉
Liebe Grüße, Tobias
