Leises Sterben, lautes Erwachen?

Die Ackerhummel ist unser Versuch in der heutigen Zeit von einer Kleinst-Landwirtschaft im Einklang mit der Natur zu leben. Für uns ist es eine sehr bewusste Entscheidung und immer wieder setzen wir uns damit auseinander. Der folgende Beitrag beruht auf Informationen aus dem Buch „Das leiste Sterben“ von Martin Grassberger.

„Das leise Sterben“ ist ein vieldeutiger Ausdruck. Er steht für das Artensterben, für das Sterben der Vielfalt an Genetik im Tier und Pflanzenreich, aber auch der menschlichen Kulturen. Und eng damit verbunden: das Bauernsterben. Im übertragenen Sinne bedeutet das: allein in den zehn Jahren von 2003 bis 2013 haben ein Drittel aller europäischen Bauern und Bäuerinnen das Handtuch geworfen. Wer am Land wohnt braucht dafür keine Zahlen, man braucht sich nur umschauen: wie viele kleine Bauernhöfe bewirtschaften heute noch selbst ihren Hof? Wer hat heute noch ein paar Ziegen, Hühner und einen Hausgarten?


Leider kann man „Bauernsterben“ aber auch wortwörtlich verstehen: das Suizid-Risiko unter Bauern ist unter dem intensiven Druck durch die Wirtschaft, durch soziale Prozesse und die Klimakrise viel höher, als in der Durchschnittsbevölkerung. Besonders beeindruckend (im negativen Sinne) sind die Zahlen in Ländern wie Frankreich, wo sich einer Studie aus 2013 zufolge durchschnittlich jeden zweiten Tag ein*e Landwirt*in das Leben nimmt. Damit ist das Suizidrisiko um 20% höher als in der Durchschnittsbevölkerung. Es gibt Länder, in denen das noch schlimmer ist, auch wenn genaue Daten fehlen. In Indien haben sich Schätzungen zufolge in den letzten Jahren über 100 000 Bäuer*innen das Leben genommen. Von der Öffentlichkeit wird davon kaum Notiz genommen.
Mit solchen Zahlen kann man jemandem den Tag vermiesen – das ist aber nicht meine Absicht. Vielmehr ist es nötig hinzuschauen, wo viel falsch läuft, damit wir davon lernen können. Das Bauernsterben betrifft uns alle, denn es sind Kleinbäuer*innen, die unsere Lebensgrundlagen erhalten.

Wer jetzt die Stirn runzelt und sagt: „Ach, die Welt wird sowieso nur noch von der industrieller Landwirtschaft ernährt, die Kleinen braucht es dazu eh nicht mehr!“ – der braucht wohl eine Aufklärung über diesen hartnäckigen Mythos.

  1. Hunger ist keine Folge von Nahrungsmittelmangel, sondern entsteht durch Armut, Krieg, Korruption, skrupellose Machtausübung, fehlendes oder geraubtes Land, Expansionen internationaler Konzerne und sozialer Ungleichheit. Die Nahrungsmittelindustrie ist mit all diesen Praktiken eng verwoben und fördert so die Entstehung von Hunger, anstatt sie zu bekämpfen. Vor allem in Ländern des globalen Südens wurde das Hungerrisiko durch aufgezwungene (Land)Wirtschaftspolitik, Neokolonialismus und Landraub in den letzten Jahren dramatisch erhöht, da viele Gegenden nicht mehr in der Lage sind, sich selbst zu ernähren und es den Menschen an Geld, Land und lokal angepasstem Saatgut fehlt.
  2. Die Industrielle Landwirtschaft ist für die unglaubliche Zerstörung der Böden hauptverantwortlich. In den letzten 40 Jahren wurde nach Schätzungen der FAO (Ernährungs-/Landwirtschaftsogranisation der UNO) ein Drittel der Ackerböden zerstört, während sich die Weltbevölkerung verdoppelt hat. Diese Böden sind über Millionen Jahre hinweg entstanden und werden auch in Zukunft nicht schneller entstehen können. Die Industrielle Landwirtschaft zerstört langfristig die Lebensgrundlage der Menschen, statt diese zu nähren.
  3. Wer sich in der Einleitung gefragt hat, warum sich so viele Landwirt*innen das Leben nehmen, dem sei ein weiterer Grund bewusst gemacht, warum Industrielle Landwirtschaft nicht zukunftsfähig ist. Jahrzehntelang wurde gepredigt „Wachse oder weiche!“ – doch für viele lief beides auf das Gleiche hinaus. Viele Landwirt*innen mussten große Kredite aufnehmen, um zu wachsen und mit dem steigenden Marktdruck mithalten zu können. Viele haben sich verschuldet und nehmen trotzdem zu wenig ein, um diese Schulden zurück zu zahlen. Gleichzeitig ist der Soziale Druck auf Landwirte extrem gestiegen: sie sollen zwar unglaublich billig produzieren, aber auch Artenreichtum fördern, Böden schützen etc. Das geht sich nicht aus und viele plagt das Schuldbewusstsein. Hinzu kommt, dass Industrielandwirtschaft oft nicht wirklich von ihren Erträgen leben kann, sondern nur von den EU-Förderungen. Die wenigsten sind noch „Bäuer*innen“ und haben Beziehungen zum Boden oder den Tieren. Diese gefühlte Sinnlosigkeit macht vielen zu schaffen. Kurz: das Lebenskonzept Industrie-Landwirt ist genau so wenig sinnstiftend wie gut für die Umwelt. Da ist Verzweiflung nicht mehr fern.
  4. Trotz der rasanten Zunahme industrieller Landwirtschaft werden noch immer über 60% der Lebensmitteln von Kleinbäuer*innen erzeugt. (Laut Grassberger 70%, mir sind allerdings neuere Schätzungen bekannt, in denen das Bauernsterben sich weiter niederschlägt.) Die Versorgungssicherheit weltweit ist dadurch zunehmend bedroht.

Es gäbe noch viel mehr zu argumentieren, aber eigentlich sollte das schon reichen.

Angesichts dieser noch immer fortwährenden Trends könnte man in Depression verfallen. Allerdings gibt es mehr als ein paar Hoffnungsfunken: Weltweit kämpfen Bäuer*innen nicht nur ums Überleben, sondern auch um ihre Rechte, um ihr Land, um unsere Lebensgrundlagen. Überall entstehen Aufstände, neue Initiativen, neue Modelle, wie Landwirtschaft gelebt werden kann. Es ist wie ein Naturgesetz: Schlägt das Pendel stark in eine Richtung (die sich noch dazu als Sackgasse erweist), so steckt darin auch das Momentum für einen Gegenschlag. Ob dieses Momentum genutzt wird, ist eine andere Frage und es hängt von uns allen ab: von unserem Konsumverhalten (unterstützen wir die nachhaltigen Regionalversorger? Produzieren/Verarbeiten wir selbst Lebensmittel?), von unserem politischen und gesellschaftlichen Engagement.

Zum Glück erkennen immer mehr Menschen den Irrweg unserer Agrarpolitik und engagieren sich für Veränderung. Besondere Hoffnungsträger sind die Bewegungen für regenerative Landwirtschaft, wie die Humusbewegung und die Bewegungen der Solidarischen Landwirtschaften, die beide jährlich stark wachsen und viele Lösungen bieten. Dieses Wochenende findet in Linz die Verbandsgründung der SoLaWis statt, an der wir planen teilzunehmen.
Ebenfalls eine schöne neue Entwicklung ist die Gemüse-ACKERdemie, bei der wir dieses Jahr als Jungpflanzen-Lieferant*innen und Ackercoaches mitmachen dürfen – hier wird schon Kindergarten- und Schulkindern das Gärtnern näher gebracht und Begeisterung geweckt.

Es gibt also nicht nur ein leises Sterben, sondern ein ebenso leises Erwachen. Wird das Erwachen bald etwas lauter? Hoffen wirs und engagieren wir uns dafür! Eine positive Zukunft für den Menschen wird von Kleinstlandwirtschaften abhängen, da sind wir uns sicher. Das Buch von Martin Grassberger habe ich noch nicht zu Ende gelesen, doch auch darin werden noch viele Auswege aufgezeigt. Ich bin gespannt und hoffe den deprimierenden Teil bald überwunden zu haben.

Solidarische Grüße, Tobias


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